Das ‹Volk› im Streit um das Frauenwahlrecht

Die Dissertation widmet sich der politisch-theoretischen Grundfrage nach dem Subjekt der Demokratie am Beispiel des Konflikts um das Frauenwahlrecht in Liechtenstein und der Schweiz. Im Rückgriff auf das politische Denken Jacques Rancières wird untersucht, was das ‹Volk› oder den Demos im Streit um dessen Grenzen als politisches Subjekt ausmacht.

Die Geschichte des Frauenwahlrechts veranschaulicht, dass das demokratische ‹Volk› nicht mit sich selbst identisch ist – im Gegensatz zur jeweils herrschenden Definition eines klar umrissenen Wahlvolkes, welche die Staatsbürgerinnen im Untersuchungskontext bis 1971 respektive 1984 von politischer Mitsprache auf nationaler Ebene ausschloss.

Der Streit um politische Zugehörigkeit betrifft nicht nur das normative Fundament demokratischer Ordnungen, sondern stellt zugleich ein systematisches Problem für Theorien der Demokratie dar, welche eine Antwort auf die Frage nach deren Subjekt geben müssen. Denn das Subjekt der Demokratie lässt sich – angesichts vergangener und aktueller Kämpfe um das vermeintlich «allgemeine» Wahlrecht – nicht einfach auf ein bestehendes Wahlvolk reduzieren.

Im fortwährenden Ringen um Gleichheit und Freiheit überschreitet das Subjekt der Demokratie seine institutionellen Einhegungen in historisch-spezifischen Definitionen eines Wahlvolkes. Darum kann der Streit um die Grenzen des Demos aus einem auf Institutionen fokussierten Verständnis von Demokratie nicht gebührend in den Blick genommen werden. Erst die analytische Unterscheidung zwischen bestehenden Institutionengefügen und einer diese übersteigende Dimension der politischen Instituierung von Ordnung – wie sie für radikale Demokratietheorien kennzeichnend ist – erlaubt es, eine differenziertere Antwort auf die Frage nach dem Subjekt der Demokratie zu geben.

Vor diesem Hintergrund ist das Ziel der Dissertation, die Konturen des Subjekts der Demokratie im vielschichtigen und ambivalenten Prozess seiner Formierung und Erscheinung im Streit um das Frauenwahlrecht detailliert nachzuzeichnen und demokratietheoretisch zu reflektieren.

Im kritischen Rückgriff auf den theoretischen Rahmen, das begriffliche Vokabular und die Methodik, welche Jacques Rancières Verständnis politischer Subjektivierungsprozesse bietet, werden hierzu ausgewählte historische Ereignisse, wie der «Marsch nach Bern» (1969) oder die «Fahrt nach Strassburg» (1983), als Zeugnisse politischer Subjektivierung gelesen und anhand konkreter Materialien analysiert. Anschliessend wird nach den Implikationen der gewonnenen Einsichten für Theorie und Praxis der Demokratie gefragt, beispielsweise hinsichtlich der Rolle des Rechts im Subjektivierungsprozess.

Die Dissertation leistet nicht nur einen profunden Beitrag zur Fachdiskussion, sondern ist an-gesichts der Brisanz ihrer Forschungsfrage auch über die Akademie hinaus relevant. Die gewonnenen Erkenntnisse sind instruktiv für Verständnis und Erforschung gegenwärtiger Kämpfe um politische Teilhabe und tragen damit zu laufenden Debatten über die Grenzen politischer Mitbestimmung bei, wie etwa die Auseinandersetzung um das Wahlrecht für Ausländer*innen.


Supervisor:  Prof. Dr. Katrin Meyer
Co-Supervisor:  Prof. Dr. Franziska Martinsen (Universität Duisburg-Essen)


Bio

Beat Ospelt studierte Philosophie und Gesellschaftswissenschaften an der Universität Basel sowie politische Philosophie im Masterstudiengang Political, Legal, and Economic Philosophy (PLEP) an der Universität Bern und der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seit Frühjahr 2021 ist er Doktorand im Fach Philosophie und Mitglied des Graduiertenkollegs Gender Studies „Geschlechterverhältnisse – Normalisierung und Transformation" sowie der Graduate School of Social Sciences (G3S) an der Universität Basel.


Forschungsschwerpunkte

  • Politische Philosophie
  • Radikale Demokratietheorie
  • Theorien politischer Subjektivation
Portrait von Beat Ospelt

Beat Ospelt  
Philosophisches Seminar  
Steinengraben 5
4056 Basel

beat.ospelt@unibas.ch