"Ringen um (Be-)Deutung": Subjektive (Be-)Deutungen häuslicher Gewalt

Häusliche Gewalt impliziert als soziales Problem, dass eine Diskrepanz zwischen dem Phänomen und gesellschaftlichen Wertmassstäben vorherrscht (Ottermann 2003, S. 164). Diese aufzudecken, ist zumeist Aufgabe der Justiz und der Sozialen Arbeit, die das soziale Problem und dessen Dimension definieren. Von den Definitionsprozessen dieser Instanzen hängt es ab, welche Formen von Gewalt thematisiert oder nicht thematisiert, problematisiert oder entproblematisiert sowie teils auch kriminalisiert oder entkriminalisiert werden (Ottermann 2003, S. 166). Diese Begriffsfestlegungen offenbaren bereits strukturell angelegte Spannungen innerhalb einer Gesellschaft. Gleichzeitig wirft dies Fragen auf, wer die Definitions- und Deutungsmacht hat (ebd.) und wie Deutungen sozial hergestellt werden. Erste Analysen zeigen bereits, dass keineswegs evident ist, was Gewalt ist. So vielfältig die Erfahrungen mit Gewalt sind, so kontingent sind auch die Deutungen zu Gewalt als Phänomen, die für die Betroffenen unterschiedliche Bedeutungen haben.
Den forschungsleitenden Fragen liegt die Annahme zugrunde, dass das, ‚was Gewalt ist‘, eine soziale Deutungspraxis ist (Staudigl 2014, S. 12). Als soziales Phänomen ist Gewalt demnach im Horizont einer gesellschaftlichen Ordnung zu denken, innerhalb derer darüber verhandelt wird, was als Gewalt gilt und was nicht. Daraus ergibt sich die folgende zentrale Forschungsfrage mit drei Subforschungsfragen:

  • Wie werden Gewaltdeutungen sozial hergestellt?
  • (Inwiefern) stehen diese Deutungen und Bedeutungen in einem biografischen Zusammenhang?
  • (Wie) stehen diese spezifischen Zuschreibungen für die soziale Ordnung?
  • In welchem Verhältnis steht die Bedeutung von Gewalt zu Biographie und Geschlecht.

Die unterschiedlichen Ausdeutungen von Gewalt werden folglich bezogen auf die soziale Ordnung rekonstruiert. Auf Einzelfallebene wird die Bedeutung von Gewalt im biographischen Kontext analysiert, wobei davon ausgegangen wird, dass Gewalt und Geschlecht sich zwar gegenseitig verschlüsseln, jedoch nicht bedingen. Hierfür werden Frauen und Männer, die in Paarbeziehungen Gewalt erfahren haben, mittels biographisch-narrativer Interviews befragt. Entlang der Rekonstruktionen wird Gewalt als soziale Herstellungspraxis prozessual beschrieben. Konkret wird z.B. in die Analyse miteinbezogen, wie die nichtsprachlichen Dinge ihre Bedeutung erlangen (Feustel 2015, S. 25): Wenn also von ‚nicht-Gewalt‘ oder ‚falscher Gewalt‘ oder von ‚Beziehungsproblemen‘ die Rede ist, wird rekonstruiert, wie diese ‚nicht-Gewalt‘ (Be-)Deutung erlangt und (wie) es zur ‚Gewalt‘ wurde. 

Supervisor: Peter Rieker (Universität Zürich)
Co-Supervisor:
Mechthild Bereswill (Universität Kassel)

Bio

Susanne Nef studierte Kommunikation und Soziale Arbeit/Sozialpädagogik in Zürich. Sie ist Doktorandin am Zentrum für Gender Studies an der Universität Basel, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Vielfalt und gesellschaftliche Teilhabe (Dept. Soziale Arbeit) der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und externe Lehrbeauftragte am Lehrstuhl für Sozialpädagogik an der Universität Zürich.

Susanne Nef forscht und lehrt insbesondere zu Gender und Sozialisation, Gewalt im Geschlechterverhältnis, individuelle und gesellschaftliche Wahrnehmung und Deutung sozialer Probleme, Intersektionalität, soziale Ungleichheit, Sozialpolitik im internationalen Vergleich, postkolonialer Theorie sowie Gender und Soziale Arbeit. Im Rahmen eines Forschungsaufenthaltes 2014 an der Christ University in Bangalore forschte sie zudem zum öffentlichen Diskurs zur Verrechtlichung der Vergewaltigung in der Ehe in Indien als geschlechterpolitische Handlungsarena. Seit 2016 forscht sie ferner im Rahmen eines SNF-Projektes zu Vorstellungen sozialer Ordnung in Praktiken institutioneller Erziehung.

 Ausgewählte Publikationen

Nef, Susanne, 2017. Marital rape. Empirical analysis : discursive problematisation of social phenomena from an intercultural perspective. Artha-Journal of Social Sciences. 16(2), S. 1-22. Peer reviewed.

Johner-Kobi, Sylvie; Riedi, Anna Maria; Nef, Susanne; Biehl, Verena; Page, Julie; Darvishy, Alireza; Roth, Stephan; Meyer, Sylvie; Copur, Eylem; 2015. SAMS - Studie zum Arbeitsleben von Menschen mit Sehbehinderung : Schlussbericht. Zürich: ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

Johner-Kobi, Sylvie; Riedi, Anna Maria; Nef, Susanne; Biehl, Verena; Page, Julie; Darvishy, Alireza; Roth, Stephan; Meyer, Sylvie; Copur, Eylem; 2015. Sur la voie de l'égalité ?. In: Union centrale suisse pour le bien des aveugles UCBA, Hrsg., Handicap visuel: rester sur les rails au travail : une publication à propos de l'étude: «Handicap visuel et marché du travail» (SAMS). Lausanne: Union centrale suisse pour le bien des aveugles UCBA. S. 9-23.

Johner-Kobi, Sylvie; Riedi, Anna Maria; Nef, Susanne; Biehl, Verena; Page, Julie; Darvishy, Alireza; Roth, Stephan; Meyer, Sylvie; Copur, Eylem; 2015. SAMS : étude sur le handicap visuel et le marché du travail. Winterthur: ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

Nef, Susanne & Werner, Karin, 2015. Foster Care – Importance of Transition Planning: Practice-based Research: An Elaborative, Explorative Approach. Artha - Journal of Social Sciences, 14, 33. 1-8. Peer reviewed.

Vorträge

Zukünftige Vorträge

Nef, Susanne, 2018. Gender - Socialisation and Violence: gender relations and the intersection with other influences on social relations. In: Gastdozentin an der HTW Chur, 1.-2.11.2018

Heite, Catrin & Nef, Susanne, 2018. Sorgeverhältnisse als Kristallisationspunkt der Sozialen Frage. In: 'Fachsymposium Soziale Frage', 16. – 17. November 2018, Fachhochschule St. Gallen.

Vergangene Vorträge

Nef, Susanne, 2018. Die Freiheit der Selbstbestimmung : Anforderungen, Ansprüche, Möglichkeiten und Praktiken der Selbstbestimmung. In: Studierenden-/Dozierendentag: zukunft denken (eins), Studierenden-/Dozierendentag der ZHdK BA Theater, 4. Mai 2018.

Nef, Susanne, 2018. Biography & Violence: Subjective Processing of Experiences of Violence in Couples' Relationships in the Field of Tension between Subjective and Social Interpretations. In: International conference "Biography and Violence: Violent dynamics and agency in collective processes and individual life histories", Georg-August-Universität Göttingen, Deutschland, 9. - 10. Februar 2018.

Lehrveranstaltungen

ZHAW:

- Studienreise Indien (MA) (Modulverantwortung)
- Transfermodul Entwickeln und Problemlösen (MA, bis FS19) (Co-Modulverantwortung)
- Sozialpolitik im internationalen Vergleich (MA, ab HS19) (Co-Modulverantwortung)
- Einführung Grundlagen Mediensozialisation (Bachelor)
- Einführung Grundlagen Geschlecht & Sozialisation (BA)
- Seminar Gender und Soziale Arbeit (BA)

Universität Zürich (FS18 und HS18):

- Soziale Ungleichheit - Sozialisation - Chancengleichheit: geschlechtertheoretische Einblicke (BA)

Literaturverzeichnis

Ottermann, Ralf (2003): Geschlechterdividenden in Gewaltdiskursen. In: Lamnek, Siegfried/Boatcă, Manuela (Hrsg.): Geschlecht - Gewalt - Gesellschaft. Wiesbaden, S. 163–178

Staudigl, Michael (2014): Leitideen, Probleme und Potenziale einer phänomenologischen Gewaltanalyse. In: Staudigl, Michael (Hrsg.): Gesichter der Gewalt. Paderborn, S. 9–47

Susanne Nef

Susanne Nef
Institut für Vielfalt und gesellschaftliche Teilhabe, Dept. Soziale Arbeit (ZHAW)
Pfingstweidstrasse 96
8037 Zürich